Die Unterwasserarchäologie ist mehr als nur die Suche nach versunkenen Schätzen. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin, die modernste Technologie mit traditionellen archäologischen Methoden kombiniert, um die Geheimnisse unter der Wasseroberfläche zu lüften. Von Schiffswracks über versunkene Städte bis hin zu prähistorischen Siedlungen – diese faszinierende Disziplin eröffnet uns einzigartige Einblicke in die Vergangenheit und erweitert unser Verständnis der Menschheitsgeschichte.
Entwicklung der Unterwasserarchäologie
Erste Versuche, Objekte vom Meeresgrund zu bergen, gab es bereits in der Antike. Die systematische Erforschung versunkener Stätten begann jedoch erst im 20. Jahrhundert. Karl Adolph von Morlot, ein Schweizer Archäologe, unternahm bereits 1854 erste Tauchversuche im Genfer See mit einer selbstgebauten Tauchkappe, wie im Artikel von Planet Wissen beschrieben. Der entscheidende Durchbruch kam mit der Entwicklung der Aqualunge durch Jacques-Yves Cousteau und Émile Gagnan. Cousteaus Expeditionen, wie die Entdeckung eines antiken Handelsschiffes vor Marseille in den 1950er-Jahren, zeigten das enorme Potenzial dieser neuen Technologie und legten den Grundstein für die moderne Unterwasserarchäologie.
Revolution durch Technologie
Die heutige Unterwasserarchäologie erlebt eine technologische Revolution, insbesondere durch den Einsatz autonomer Unterwasserfahrzeuge (AUVs). Diese Roboter-U-Boote, die im Artikel von The Guardian vorgestellt werden, ermöglichen eine effiziente und kostengünstige Suche nach versunkenen Stätten. Das Projekt Archeosub, geleitet von italienischen Forschern, entwickelt eine neue Generation von AUVs, die speziell auf die Bedürfnisse der Unterwasserarchäologie zugeschnitten sind. Diese intelligenten Roboter sind miteinander vernetzt und bilden ein “Internet der Unterwasserdinge”. Sie können große Gebiete kartieren, Objekte lokalisieren und Daten austauschen. Da Funkwellen unter Wasser nur begrenzt funktionieren, nutzen sie akustische und optische Signale. Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz dieser Technologie ist die Untersuchung des römischen “Kirchenwracks” vor Marzamemi, Sizilien, das Baumaterial für eine frühchristliche Kirche transportierte (The Guardian).
Fundstätten unter Wasser
Die Unterwasserarchäologie enthüllt eine beeindruckende Vielfalt an Fundstätten, die unser Verständnis der Vergangenheit erweitern.
Versunkene Städte und Landschaften
Veränderungen des Meeresspiegels haben dazu geführt, dass ganze Städte und Landschaften unter Wasser liegen, wie auf Wikipedia nachzulesen ist. Atlit-Yam, eine neolithische Siedlung vor der Küste Israels, ist ein herausragendes Beispiel. Die um 7000 v. Chr. bewohnte Siedlung liegt heute zehn Meter unter dem Meeresspiegel und bietet Einblicke in das Leben einer prähistorischen Gemeinschaft mit Ackerbau, Viehzucht und einer komplexen sozialen Struktur. Auch Doggerland in der Nordsee, das einst Großbritannien mit dem europäischen Festland verband, ist ein bedeutendes Forschungsgebiet.
Schiffswracks als Zeitkapseln
Schiffswracks, oft als “Pompeji en miniature” bezeichnet, bieten einzigartige Einblicke in vergangene Zeiten, wie die Universität Würzburg betont. Sie konservieren oft die Ladung als “geschlossenen Befund”, was detaillierte Einblicke in Handelsrouten, Schiffbautechniken und das Leben an Bord ermöglicht. Das Wrack von Uluburun, ein Schiff aus der späten Bronzezeit vor der türkischen Küste, enthielt eine Ladung aus verschiedenen Kulturen des Mittelmeerraums. Das Vasa-Schiff in Schweden ist ein weiteres Beispiel für ein außergewöhnlich gut erhaltenes Wrack.
Weitere Funde
Neben Schiffswracks und versunkenen Städten gibt es eine Vielzahl weiterer Unterwasserfunde. Dazu gehören Überreste von Hafenanlagen, Brücken und anderen Strukturen, die in oder am Wasser gebaut wurden. Auch rituelle Opferstätten in Seen oder Flüssen und Überreste von Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg, wie sie im Bodensee gefunden wurden, gehören zum Spektrum der Unterwasserarchäologie.
Methoden und Herausforderungen
Die Arbeit unter Wasser stellt besondere Anforderungen an Archäologen und erfordert spezielle Kenntnisse und Techniken, wie Der Spiegel in einem Video veranschaulicht.
Tauchtechniken
Tauchgänge sind eine grundlegende Methode der Unterwasserarchäologie. Dabei kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, von einfachen Schnorcheltauchgängen bis hin zu komplexen Tauchgängen mit technischer Ausrüstung. Die Herausforderungen sind vielfältig: eingeschränkte Sicht, Wasserdruck, begrenzte Zeit unter Wasser und die Notwendigkeit, unter diesen Bedingungen präzise zu arbeiten.
Technologie
Moderne Technologien spielen eine immer größere Rolle. Sonar und Magnetometer helfen bei der Ortung von Fundstellen, wie auf StudySmarter erläutert wird. Die Fotogrammetrie, ein Verfahren zur Erstellung dreidimensionaler Modelle aus Fotos, ermöglicht die detaillierte Dokumentation von Wracks und versunkenen Städten. Ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge (ROVs) und autonome Unterwasserfahrzeuge (AUVs) werden für die Erkundung und Dokumentation in größeren Tiefen eingesetzt. An der Universität Hamburg wird die Anwendung der Photogrammetrie in der Ausbildung zukünftiger Unterwasserarchäologen gelehrt.
Virtuelle Realität
Die virtuelle Realität (VR) revolutioniert die Art und Weise, wie wir Unterwasserstätten erleben und erforschen. VR-Anwendungen ermöglichen es Forschern und der Öffentlichkeit, versunkene Stätten virtuell zu besuchen und interaktiv zu erkunden. Dies ist besonders nützlich für Stätten, die schwer zugänglich oder gefährdet sind. Ein Beispiel ist die virtuelle Rekonstruktion des römischen Kriegsschiffs *Mars* vor der Küste Siziliens.
Konservierung
Die Konservierung geborgener Artefakte ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Organische Materialien, die unter Wasser oft hervorragend erhalten sind, zerfallen an der Luft schnell. Aufwendige Verfahren sind notwendig, um die Funde zu stabilisieren. Dazu gehören die Entsalzung von Metallobjekten durch Elektrolyse, die Gefriertrocknung von Holz und Leder sowie die kontrollierte Trocknung und Imprägnierung anderer Materialien. Ziel ist es, die Funde für zukünftige Generationen zu bewahren und ihre wissenschaftliche Auswertung zu ermöglichen.
Beispiel Gefriertrocknung
Die Gefriertrocknung ist ein besonders schonendes Verfahren zur Konservierung organischer Materialien. Dabei wird das Wasser im Material zunächst gefroren und dann unter Vakuum sublimiert, d.h. direkt vom festen in den gasförmigen Zustand überführt. Dadurch wird eine Schrumpfung und Verformung des Materials minimiert.
Schutz, Ausbildung, Öffentlichkeit
Die Unterwasserarchäologie ist nicht nur Forschung, sondern auch Kulturgüterschutz.
Organisationen
Organisationen wie die DEGUWA (Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Unterwasserarchäologie) und die ÖGUF (Arbeitskreis Unterwasserarchäologie) fördern Forschung, Lehre und den Schutz des maritimen Erbes. Sie bieten Plattformen für Austausch und Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.
Ausbildung
Universitäten wie die Universität Hamburg bieten eine umfassende Ausbildung in Unterwasserarchäologie an, die Theorie und Praxis, wie beispielsweise die Anwendung der Photogrammetrie, verbindet.
UNESCO-Konvention
Die UNESCO-Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser (Wikipedia) bildet den internationalen rechtlichen Rahmen für den Schutz versunkener Stätten. Sie soll Plünderung und Zerstörung verhindern und die internationale Zusammenarbeit fördern.
Öffentlichkeitsarbeit
Museen und Ausstellungen, wie “Osiris – Das versunkene Geheimnis Ägyptens” (Die Welt), präsentieren die Ergebnisse der Forschung. Dokumentarfilme (Der Spiegel) und Podcasts (ARD Audiothek) tragen dazu bei, das Interesse zu wecken.
Beispiele spektakulärer Entdeckungen
Die Unterwasserarchäologie hat zu spektakulären Entdeckungen geführt, die unser Bild der Vergangenheit verändert haben.
Franklin-Expedition
Die Erforschung der Franklin-Expedition in der Arktis, bei der die Wracks der HMS Erebus und HMS Terror gefunden wurden, ist ein Beispiel für die Herausforderungen und den Erkenntnisgewinn der Unterwasserarchäologie (Ancient Origins). Die geborgenen Artefakte, darunter Alltagsgegenstände wie ein Kapitänssenf und eine Leutnantsepaulette, geben Einblicke in das Leben an Bord und die soziale Hierarchie.
Rungholt
Die Suche nach der mittelalterlichen Handelsstadt Rungholt im Wattenmeer, oft als “Atlantis der Nordsee” bezeichnet, ist ein Beispiel für die Arbeit der Unterwasserarchäologen in Deutschland (Deutschlandfunk). Trotz der Herausforderungen durch Gezeiten und Sedimentablagerungen konnten erste Funde wie Ziegelsteine und Keramikscherben gemacht werden.
Thonis-Herakleion und Kanopus
Die Arbeit von Franck Goddio vor der Küste Ägyptens, der die versunkenen Städte Thonis-Herakleion und Kanopus entdeckte, hat unser Verständnis des Pharaonenreichs revolutioniert (Die Welt). Die Funde, darunter eine Stele mit Inschriften in griechischer und ägyptischer Sprache, zeigten, dass das griechische Herakleion und das ägyptische Thonis ein und derselbe Ort waren – ein bedeutender Hafen vor der Gründung Alexandrias.
Bodensee
Der Bodensee ist ein Schatzkästchen der Unterwasserarchäologie. Hier finden sich Spuren prähistorischer Siedlungen, Schiffswracks und sogar Flugzeugwracks aus dem Zweiten Weltkrieg.
Zukunftsperspektiven
Die Unterwasserarchäologie steht an der Schwelle zu einer neuen Ära. Die Kombination traditioneller Methoden mit modernster Technologie, wie Unterwasserrobotern und künstlicher Intelligenz, eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaften wird immer wichtiger. Die Erforschung versunkener Landschaften wie Doggerland verspricht faszinierende Einblicke. Die Unterwasserarchäologie wird uns helfen, die Geschichten unter der Oberfläche zu erzählen und unser Wissen über die Menschheitsgeschichte zu erweitern. Dabei steht nicht nur die Bergung spektakulärer Funde im Vordergrund, sondern auch der Schutz dieses einzigartigen kulturellen Erbes.